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Wie die soziale Lage die Gesundheit beeinflusst

Die Gesundheit der Menschen in Sachsen darf nicht allein aus dem Blickwinkel spezifischer Erkrankungen und ihrer Risikofaktoren betrachtet werden. Zu den Determinanten der Gesundheit zählen neben Alter, Geschlecht, den persönlichen Erbanlagen und der individuellen Lebensweise auch die Einflüsse des sozialen Umfeldes. Dieser Einfluss des sozialen Umfeldes beziehungs­weise der sozialen Lage wird auch als Soziogenese bezeichnet. In der Literatur werden unterschiedliche Mechanismen diskutiert, wie Soziogenese wirkt (Lampert et al., 2016; Lampert und Mielck, 2008; Mackenbach, 2006; Richter und Hurrelmann, 2009).

Ein wesentlicher Faktor stellt die soziale Integration dar. Insbesondere bei länger währender Arbeitslosigkeit kann das Selbstwertgefühl der Betroffenen leiden und sie ziehen sich häufig aus ihrem sozialen Umfeld zurück. Aber auch eine andauernde geringfügige Beschäftigung mit unsicheren Vertragsverhältnissen kann die gesellschaftliche Teilhabe erheblich einschränken. Soziale Vergleichsprozesse, Ausgrenzungserfahrungen oder Zukunftssorgen belasten die Betroffenen vor allem psychosozial umso stärker, je länger sie in dieser Situation leben (siehe dazu auch die Ausführungen unter Gesundheitsförderung bei Erwerbslosen im Kapitel Prävention und Gesundheitsförderung im mittleren Erwachsenenalter).

Eine weitere Erklärung wird bei den Arbeits-, Lebens- und Wohnbedingungen selbst gesehen. Menschen, die eine geringe Qualifizierung haben, sind häufig stärker am Arbeitsplatz körperlich belastet und gefährdet, etwa durch schwere körperliche Arbeit, Nacht- und Schichtarbeit aber auch durch Schadstoff- und Lärmexposition. Psychosoziale Belastungen resultieren häufig, wenn gleichzeitig hohe Arbeitslast, geringe Vergütung, mangelnde Anerkennung und geringe Handlungskontrolle erfahren werden. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Gratifikationskrise (Siegrist, 2015). Gratifikationskrisen können aber auch abseits des Berufslebens etwa bei Alleinerziehenden beobachtet werden. Überdies sind die Wohn­verhältnisse bei Menschen mit niedrigen Einkommen unter Umständen geprägt durch beengte und mangelhafte Räume sowie lärm- und schadstoffbelastete Wohngegenden, die ebenfalls ein Erkrankungspotenzial mit sich bringen.

Des Weiteren könnten Menschen mit niedrigen Einkommen in der Gesundheitsversorgung benachteiligt und deswegen eine erhöhte Krankheitslast aufweisen. In Deutschland scheint dies eher ein untergeordnetes Problem zu sein. Der relativ hohe Versorgungsanspruch und das Solidarprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung wirken dem entgegen (Lampert und Mielck, 2008). Bekannt ist, dass Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen seltener Präventions- und Vorsorgeangebote wahrnehmen (Janssen et al., 2014). Einige Hinweise liegen auch dafür vor, dass Menschen in strukturschwachen Regionen und Stadtteilen eine geringere Auswahl an Ärzten, insbesondere Fachärzten, haben (Lampert et al., 2016).

Ein wesentlicher Einflussfaktor ist zudem das unterschiedliche Gesundheitsverhalten. Personen mit niedrigen Bildungsabschlüssen und geringem Einkommen rauchen im Durchschnitt häufiger (Tabelle 6‑8), treiben weniger Sport und ernähren sich ungesünder (Lampert et al., 2017; Lampert und Kroll, 2010; Lampert und Mielck, 2008). Allerdings werden diese Verhaltensweisen selbst als Folge der psychosozialen Belastungen und mangelnder Bewältigungsressourcen angesehen (Abbildung 6‑104). Lediglich beim Alkoholkonsum erscheinen Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen ein weniger riskantes Verhalten zu zeigen als Menschen mit hohen Bildungsabschlüssen (Abbildung 6‑96).

Abbildung 6-104: Einfaches Modell zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheit

Die Abbildung zeigt wie beschrieben das Modell zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheit.

Diskutiert wird schließlich die Richtung der Kausalität: Trägt eine prekäre soziale Lage zu einer Schwächung der Gesundheit der Betroffenen bei oder führt eine schwache Gesundheit über Selektionsprozesse zum sozialen Abstieg? Verschiedene Studien konnten zeigen, dass die erste Kausalkette weit überwiegend gilt (Günther et al., 2017; Mackenbach, 2006; Paul und Moser, 2009; Paul et al., 2006). Das heißt, der empirisch beobachtete Zusammenhang von niedrigem sozialen Status und erhöhter Krankheitslast erklärt sich durch die beschriebenen gesund­heitlichen und psychosozialen Belastungen, die mit einer schwierigen sozialen Situation einhergehen. Halten diese über einen längeren Zeitraum an, führen sie mittelfristig zu einer geschwächten Gesundheit und langfristig zu einer geringeren Lebenserwartung. Umgekehrt kann zwar auch eine negative Selektion kranker Menschen im Arbeitsmarkt, insbesondere aufgrund schwerwiegender psychischer Erkrankungen wie Schizophrenie gezeigt werden (Mackenbach, 2006). Diese erklärt aber nur einen kleineren Teil des beobachten Zusammenhang von sozialem Status und Krankheitslast (Paul und Moser, 2009).

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